Dachverband der Geowissenschaften

Willkommen auf der Webseite des Dachverbandes der Geowissenschaften e.V. (DVGeo)

Die Deutsche Mineralogische Gesellschaft – eine persönliche Standortbestimmung

Mit diesem Artikel wenden sich der neue und der bisherige DMG Vorsitzende mit einer persönlichen strategischen Standortbestimmung an Sie. Die Disziplinen der DMG spielen bei grundsätzlichen Fragen zu den Prozessen der festen Erde traditionell eine herausragende Rolle. Sie können aber auch zu den großen Menschheitsfragenwie der Bewältigung der Klimakrise und der damit verbundenen Ressourcenfrage einen fundamentalen Beitrag leisten. Dieses Potenzial konsequent abzurufen und im Kontext der anderen Fächer für entsprechende Wahrnehmung zu sorgen muss das Ziel sein.

Wie ist die Mineralogie heute aufgestellt?

Die DMG vertritt die Mineralogischen Wissenschaften als Bindeglied zwischen Material- und Geowissenschaften. Zu ihrem Portfolio gehören u.a. die Geochemie, Petrologie undKristallographie. Eine Klammer um all diese Disziplinen bildet die hochtechnisierte Analytik, die gemeinsam genutzt und unseren Studierenden vermittelt wird.

Trotz der steigenden Bedeutung dieser Disziplinen, gerade bei der Forschung zu Rohstoffgewinnung, -Nutzung und -Recycling für die Energiewende, aber auch bei zentralen Grundlagenfragen ist seit vielen Jahren eine rückläufige Entwicklung in der Zahl der Hochschullehrerstellen zu verzeichnen. Während es im Jahr 2000 noch 120 Professuren in diesen Disziplinen an deutschen Universitäten gab, so verzeichnen wir im Jahr 2020 nur noch 84 Stellen. Vor allem in der Kristallographie erfolgte ein übermäßig starker Stellenabbau. Trotz dieses Stellenrückgangs diversifizierte die Mineralogie in den vergangenen Jahren ihr Portfolio mit neueren Bereichen wie z.B. Umweltmineralogie, Interfacegeochemie, Computational Mineralogy, Biomineralisation oder Nanomineralogie.

 

Was sind die Fragen heute?

Die Disziplinen der DMG stehen schon immer im Zentrum der spannendsten geo- und materialwissenschaftlichen Grundlagenthemen: wie Materialien die innere Dynamik unseres Planeten bestimmen, die Verbindung zwischen Explosivität von vulkanischen Eruptionen und Entgasungsprozessen, Wasser im Erdmantel, die chemische Verwitterung, die das Klima der Erde über Millionen von Jahren reguliert, die Koevolution von Mineralen und Mikroben über die Erdgeschichte. Jenseits der Erde sorgen die Disziplinen mit hochentwickelten miniaturisierten Analyseinstrumenten für die ganz großen Aufreger, so auf der Suche nach Lebensgrundlagen auf dem Mars und auf Kometen, und sie rekonstruieren die detaillierte Chronologie und Mechanismen der Akkretion der Planeten.

Die mineralogischen Material- und Rohstoffwissenschaften erforschen die Genese mineralischer Rohstoffe und ihre Weiterverarbeitung: Minerale als Schwingkristalle in der Elektronik, Rubin und Granat für die Lasertechnologie, Asbest mit seinen gesundheitsgefährdenden Eigenschaften, und Zeolithe als eine der wichtigsten Materialgruppen der Katalysatoren und Ionentauscher mit einer Produktion von über einer Million Tonnen pro Jahr. All dies hat hohe ökonomische Bedeutung und wäre undenkbar ohne die Resultate mineralogischer Forschung. Mit ab initio Modellierungen können Mineralogen heutzutage an leistungsstarken Computern präzise Kristallstrukturen und gleichzeitig Struktur-Eigenschafts-Beziehungen wie Wärmeleitung, Ionenleitung und sogar Isotopenfraktionierung simulieren.

All dies ist wahrlich ein eindrucksvolles Portfolio. Aber genügt es für die Zukunft?

Was sind die Zukunftsfragen?

Angesichts der rapiden Beschleunigung der analytischen und rechnergestützten Möglichkeiten gleicht eine Prognose zu den nächsten Durchbrüchen dem Blick in die sprichwörtliche Glaskugel. Liegen sie in rechnergestützten Strukturmodellen, die molekulare geologische Prozesse wie Mineral-Fluid Wechselwirkungen und komplexe neue Materialien und deren Eigenschaften in großem Detail abbilden können; in experimenteller Mineralogie auf der Nanoskala; in der Aufklärung des Ursprungs des Lebens auf Mineraloberflächen; der Aufklärung der Erdkernzusammensetzung, die das Magnetfeld der Erde kontrolliert; oder der Entdeckung von Leben auf Asteroiden? Der englische Petrologe und Geochemiker John Ludden, langjähriger Direktor des British Geological Survey, hat einige Zukunftsfragen, die er „Extreme Geosciences“ nennt, in einem provokanten Artikel formuliert (Ludden, J., 2020, Where is Geoscience going? Geol. Soc. Special Publ. 499.). So würde die wahrscheinliche Besiedlung des Mondes und die dortige Exploration neuartiger Mineralvorkommen zu einem Schwung in planetarer Petrologie führen. Auf der Erde könnte man in Magmakammern bohren, um das magmatische System zu modulieren oder als Quelle für geothermische Energie zu nutzen. Die Entwicklung extrem hitzebeständiger Sensoren würde uns endlich die Erkundung der Venusoberfläche ermöglichen. Und für die sichere Nutzung des Untergrundes könnten wir geologische Störungen mit biogeochemischen Ingenieurmaßnahmen versiegeln. Dies alles ist mögliche Zukunftsmusik, die unsere wissenschaftliche Fantasie anregen soll.

Eigentlich aber liegt uns folgender Punkt am Herzen. Das Fachwissen der DMG-Disziplinen steht im Zentrum der ganz großen Herausforderungen, vor denen die Menschheit heute steht. Unsere Volkswirtschaften müssen innerhalb der nächsten 30 Jahre auf eine fossilfreie Energieerzeugung umgestellt werden, wenn wir die wichtige 1,5 °C Grenze des Pariser Klimaabkommens von 2015 einhalten wollen. Dieser Übergang erfordert enorme Mengen an seltenen (so genannten "kritischen") Metallen wie Li für Batteriespeicher, und riesige Mengen der Seltenerdelemente Neodym und Dysprosium, die für die Herstellung leistungsfähiger Permanentmagnete in Windkraftanlagen benötigt werden. Diese Metalle müssen gefunden, mit der 3- bis 10-fachen Rate von heute produziert und auch recycelt werden. Die Erzeugung von Wasserstoff und seine Speicherung erfordern die Entwicklung neuer Materialien. "Negative CO2-Emissionen" beinhalten sowohl die Abscheidung von Kohlenstoff in der Tiefe als auch neuere Ansätze wie künstlich induzierte Verwitterung von mafischem Gestein. Auch bei der Entwicklung von Endlagern für hochradioaktiven Atommüll steht die mineralogische und geochemische Erkundung an vorderster Front: so bei der Bewertung der Sicherheit der "geologischen Barriere" in tiefen Untergrundstrukturen, beim Einsatz von Zeolithen und anderen Mineralen in der „technischen Barriere“. All dies muss geschehen, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen – Produktion auf Kosten zukünftiger Generationen und auf Kosten der Umwelt und der lokalen Bevölkerung. „Nachhaltige Nutzung von Erdressourcen“ ist auch ein Thema der Mineralogie.

Was ist zu tun?

Die Mineralogie muss immer wieder feststellen, dass ihr Beitrag sowohl in den fundamentalen Anwendungen als auch in den gesellschaftsrelevanten Aspekten nicht hinreichend wahrgenommen wird. Selbst innerhalb der Geowissenschaften werden die oben genannten großen Themen in der Regel nicht mit Mineralogie assoziiert. Ist ein Wahrnehmungsproblem der Grund? Oder hat die Mineralogie ihren Anwendungsbereich so weit ausgedehnt, dass sie in den Wissenschaften, in denen sie verwendet wird, aufgeht und somit fast unsichtbar geworden ist? Diese These formulierte John Brady, der ehemalige Präsident der Mineralogical Society of America, anlässlich deren hundertjährigen Jubiläums (Brady, J.B.,2015,Assuring the future of Mineralogy. American Mineralogist 100).

Welches auch immer der Grund ist, es gibt drei Handlungsoptionen für die DMG, ihre Disziplinen und ihre Wissenschaftlerinnen. 1) Wir sollten uns bei den großen Fragen nach der Zukunft unseres Planeten weit aktiver engagieren und einbringen, und keinesfalls abseitsstehen. Mögliche Formate sind Forschungsverbünde, die Gestaltung der Lehrpläne, in denen der Klimawandel eine immer größere Rolle spielen dürfte, und sich aktiver als bisher in Universitätsgremien und an Gesellschafts- sowie Politikberatung beteiligen. 2) Innerhalb der Geowissenschaften dürfen wir ruhig mit größerem Selbstbewusstsein und konstruktiv bewerben, dass mineralogisches Verständnis ein wesentlicher Bestandteil für die Lösung dieser Zukunftsfragen ist. Der Dachverband der Geowissenschaften bietet hierfür ein ausgezeichnetes Forum. 3) Unseren Studierenden, von denen nur wenige „Mineralogen“ oder „Geochemikerinnen“ im engeren Sinne werden, müssen wir vermitteln, wie ihnen unsere Disziplinen und unsere Methoden helfen, egal ob sie später Grundwasserkontamination sanieren, Energieressourcen prospektieren, Materialien entwickeln, oder Georisiken wie Erdbeben oder vulkanische Eruptionen vorhersagen. Gelingt dies, spielt die Mineralogie eine Rolle auch für jene junge Menschen, die aus der „Fridays for Future“ Bewegung heraus ihre eigene Zukunft in der Erarbeitung praktischer Lösungen sehen, aber nicht wissen, in welchem Berufsfeld sie dies umsetzen können.

Diese Fragen möchten wir mit Ihnen diskutieren. Als eine Maßnahme wollen wir, sobald dies wieder möglich ist, einen schon länger geplanten Workshop zur „Zukunft der Mineralogie“ in Lehre und Forschung durchführen, der sich im letzten Jahr nicht realisieren ließ.

Friedhelm von Blanckenburg  Potsdam und Berlin& Reinhard X. Fischer  Bremen

Erschienen in Gmit, März 2021, S. 56-58